Hospizabend

mit Michael Strodt

Resonanz – im Zeitalter der Beschleunigung

Spielräume für eine gelebte Hospizkultur

Der Soziologe Hartmut Rosa hat einen Beschleunigungszwang in unserer Gesellschaft diagnostiziert und davon gesprochen, dass gerade die Pandemie uns nochmal gezeigt habe, dass wir heute wieder mehr Spielräume in der Gesellschaft brauchen. Schiller sagt, der Menschen ist nur da ganz bei sich selbst, wo er spielt. Und das gilt eben auch für unsere Gesellschaft: Sie ist nur da ganz bei sich selbst, wo sie sich selbst und anderen Spielräume gibt – Spielräume für das Unvorhersehbare, für das, was passiert, wenn Menschen zusammenkommen. Social Distancing nimmt uns gegenwärtig diese Spielräume. Die Folge ist, dass wir uns wie isolierte Atome in einem kalten Universum fühlen. Das ist die Grundangst der Moderne. Und dieses Gefühl lähmt jede Kraft für eine kulturelle und soziale Neuerfindung. Besonders die jungen Leute sind von diesem Prozess betroffen, wie große amerikanische Mental-Heath-Studien zeigen. Gerade sie fordern daher massiv Präsenzunterricht.

Virologen sagen, dass Viren immer dann auftreten, wenn die Beziehung eines Organismus zu seiner Umwelt gestört ist. Das Corona-Virus macht also deutlich, dass die Weltbeziehung dieser Gesellschaft gestört ist. Die Grundbeziehung zur Welt ist das Atmen. Und die fundamentalste Form der Weltbeziehungsstörung ist, wenn ich dem Atmen nicht mehr trauen kann, wenn ich nicht mehr unbesorgt ein- und ausatmen kann. Ich brauche jetzt einen Filter zwischen mir und der Welt. Das ist eine größtmögliche Verunsicherung, denn der Erdboden und die Luft sind das Fundamentalste, was wir kennen. Ich kann mir selbst nicht mehr trauen – vielleicht ist das Virus schon in meinem Körper. Und ich kann den anderen nicht mehr trauen – vielleicht stecken sie mich an. Wenn die Weltbeziehung von einem derart fundamentalen Misstrauen geprägt ist, habe ich auch wenig Grund, meinen Politikern zu trauen. Hier fundamentalisiert sich also das Misstrauen und dadurch könnte eine neue Form von Wutbürgertum entstehen, sagt der Soziologe Hartmut Rosa.

Hans Blumenberg hat einmal gesagt, Kultur entstehe durch das Gehen von Umwegen, ja, Kultur sei geradezu das Gehen von Umwegen. Und der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten, also das Vermeiden von Umwegen, führe eigentlich geradewegs in die Barbarei. Tatsächlich versuchen wir in der Gesellschaft ja alles zu optimieren und uns die Umwege geradezu abzutrainieren. Und mit dem Lockdown in der Pandemie und dem Homeoffice ist geradezu Realität geworden, was Paul Virilio 1980 als rasenden Stillstand beschrieben hat. Mit dem Hospizabend im Rahmen unserer diesjährigen Mitgliederversammlung wollen wir uns der Frage stellen, wie wir es schaffen, für junge, aber auch für alte Leute, wieder Spielräume zu ermöglichen, die das Unvorhersehbare möglich machen. Gerade die Hospizbewegung zeigt ja immer wieder, dass das Leben ist. Deswegen brauchen wir auch solche Begegnungen, wo einem plötzlich auffällt: es ist gar nicht schlimm, wenn etwas mal anders läuft, als geplant. Denn genau dann geht Leben auf und wir fühlen uns wieder lebendig.


Termin : Dienstag, den 20. Juli 2021 um 19:30 Uhr
Ort :
im Heimathaus Sögel (Grünbergswiese 1)
Referent :
Michael Strodt (Vorstandsvorsitzender)
Anmeldung :
unter Tel. 05952 / 968 13 60
Literatur :
Hartmut Rosa: "Die Umwege fehlen jetzt", Gespräch mit der taz vom 24.4.2021.

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